Moses 1.1, Tag 1 - Die Schaffung der eigenen Welt

Die große Welle vor Kanagawa by Katsushika Hokusai
Die große Welle vor Kanagawa by Katsushika Hokusai; Source: Wikipedia


Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Und Gott sah das Licht, daß es gut war; und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Und es ward Abend und es ward Morgen: erster Tag.

Was sind die Grundbausteine meiner Welt? In der Schule lernen wir, dass sie aus Atomen, Molekülen und anderen Elementarteilchen besteht, aber nichts davon kann ich sehe, riechen, oder fühlen. Womit ich jedoch jeden Tag konfrontiert werde, ist das Bekannte und das Unbekannte. Daraus baue ich meine Welt auf.

Ich kenne meine Heimat, meine Familie und Freunde sowie die vielen Dinge meines Alltags. Der Rest besteht aus allen den Dingen, die mir fremd sind. Wie fliegt man ein Flugzeug oder besteigt einen hohen Berg? Davon weiß ich nichts. Aber völlig unbekannt sind sie mir auch nicht. Ich muss irgendeine Art von Wissen vom Fliegen oder Bergsteigen haben, um sagen zu können “Ich verstehe es nicht” und wenn es nur das Wort ist.

Was mache ich aber mit den Dingen, von denen ich noch nicht einmal weiß, dass ich sie nicht weiß? Sie sind weniger als unbekannt. Sie existieren für mich nicht. Ich bin nicht in der Lage ein einzelnes Wort, Bild, oder Gefühl für sie zu artikulieren.

Meine Welt besteht somit nicht nur aus dem Bekanntem und Unbekanntem, sie ist auch umgeben von dem, was für mich nicht existiert.

Was hat das Ganze jetzt aber mit der Bibel und der Schaffung der Welt zu tun? Das ist der Bogen, den ich versuche zu schlagen und ich glaube, die Symbole Finsternis, Wasser und Erde spiegeln genau diese Grundbausteine meiner wahrgenommenen Welt wider.

Banksia coccinea by Ferdinand Bauer
Banksia coccinea by Ferdinand Bauer; Source: Wikipedia

Wenn ich sehe, fühle, rieche, höre, schmecke, in kurz, erfahre, wird mein Geist mit Licht und Farbe geflutet. Jetzt ist die Welt da draußen aber so groß und detailliert, dass mich nur der kleinste Teil von ihr erreicht. Der Rest ist abwesend. Er ist in Finsternis gehüllt. Das ist der Teil, von dem ich noch nicht einmal weiß, dass ich ihn nicht kenne. Ein Beispiel: Selbst so augenscheinlich simple Dinge wie eine Blume geben sich nie vollständig preis.

Was ich sehe, ist die rote Blüte und die grünen Blätter, die Formen und einzelnen Details. Aber was ist mit den Zellen? Mit den Molekülen, Atomen, und was auch immer darunter liegt? Alle die Feinheiten und Dynamik gehen an mir verloren. Ich sehe nur ein simples Ding.

Wenn ich meine Aufmerksamkeit aber auf einen Teil diese Finsternis richte, mir ein Mikroskop nehme und das Blatt darunter beobachte, wird sie verband und an ihre Stelle treten unzählige neue Eindrücke. Ich entdecke eine Welt voll Dynamik, Komplexität, Form und Muster. Ich verstehe ein wenig mehr, aber erkenne gleichzeitig, was ich noch nicht weiß. Das nicht Existente wird zum Unbekanntem reduziert.1

Finsternis ist somit das, was ich nie wahrgenommen habe. Es ist das Symbol für das, was für mich nicht existiert. Erst der Akt des Nachschauens lässt mich das Unbekannte entdecken. Es bringt diese Erfahrungen in meinen Geist. Bringt Licht in das Dunkel.

Wasser wiederum ist das ideale Symbol für dieses Unbekannte. Es ist materiell, hat Struktur, aber keine Permanenz. Alles, was ich erkenne, verschwindet im nächsten Augenblick wieder und somit kann ich es nie voll greifen oder verstehen.2

Creation of Light by Gustaaf Sorel
Creation of Light by Gustaaf Sorel; Source: Wikipedia

Das wird nur möglich durch Stabilität. Die Erde als fester Grund scheint mir genau das Symbol dafür zu sein. Sie hat Struktur, die bleibt und ist vorhersagbar. Mit anderen Worten, sie ist Ordnung. Erde ist das, was ich verstehe und kenne.

Woher aber kommt sie? Bin ich es, der die Ordnung schafft? Ich glaube nicht. Wäre die Welt da draußen nicht inhärent voll mit Mustern und Stabilität könnte ich keine Struktur erkennen. Was sich nicht vorhersagen lässt, ändert diese Eigenschaft auch nicht, egal wie lange ich darauf starre. Vielmehr ist es das Chaos aus dem nicht Existentem (Finsternis) und dem Unbekanntem (Wasser), dass reif mit Struktur ist, die noch erkannt werden will. Das ist es, was mein Geist tut, wenn er sich dem Chaos stellt. Für einen kurzen Moment trennt er die Union.

Aber keine zwei Personen sehen dieselbe Welt. Jede ist subjektiv. Was für mich noch Chaos ist, ist vielleicht für eine andere bereits Ordnung. Somit ist Chaos die Abwesenheit von eigener Ordnung. Es ist das, was außerhalb meines Geistes liegt.

Die Schaffung meiner erlebten Welt ist somit auch gleich die Schaffung der Welt im gesamten. Wenn zwei Personen in Beziehung stehen, teilen sie das Subjektive. Ihre Welten interferieren, passen sich an und werden zu einer. Und so verschmelzt das gesamte Netzwerk aus Beziehung alle unsere Welten und schafft einen physischen, sozialen, psychologischen, rationalen, kreativen, in kurz, rein menschlichen Kosmos. Was er aber nicht ist, ist die Welt an sich. Ich weiß nicht, was die echte Realität ist, noch werde ich es je wissen. Ich sehe nur ihr Licht durch alle unsere Augen.

Als nächstes in der Serie: Tag 2: Die Gedanken sind frei

Nachwort

Es ist mein Geist, der in die Finsternis vordringt und einen Teil der Welt wahrnimmt. Dadurch wird das Unbekannte freigelegt und somit schwebt er über der Tiefe des Wassers. Noch habe ich keine Permanenz erkannt und somit bleibt meine Welt wüst. Erst die nächsten Tage werden das Bekannte aus diesem Meer heben.

Wenn ich am Anfang einer der Geschichten stehe, frage ich mich manchmal, wie viel schon in so wenig Text enthalten sein kann. Wie viel Wissen kann man in wenige Sätze komprimieren? Und immer wieder bin ich von den vielen Seiten voller Notizen überrascht. Mein Verstand, jeder Verstand, ist gefüllt mit Eindrücken und Erkenntnissen und diese Geschichten scheinen ein Schlüssel zu sein, sie alle freizulegen.

Referenzen

  1. Dem aufmerksamen Leser fällt hier sicherlich auf, dass ich bekannte Konzepte verwende, um das nicht Existente zu beschreiben. Leider hat das was nicht existiert die unangenehme Eigenschaft, sich jeder Beschreibung zu entziehen. Damit ich trotzdem noch etwas zu schreibe habe, muss ich also auf inadäquate Hilfsmittel zurückgreifen. 

  2. Es gibt natürlich Simulationen und mathematische Näherungsverfahren (siehe Navier-Stokes Gleichungen in der Strömungsmechanik), aber sie werden häufig nur für kleine Volumen eingesetzt oder brauchen riesige Mengen an Rechenleistung. Eine vollumfängliche Beschreibung und Vorhersage von Fluiden so wie Wasser bleibt eine Herausforderung. 


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