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Latest thought: Moses 1.1, Tag 2 - Die Gedanken fliegen frei
Ein Sonntag Nachmittag auf der Insel La Grande Jatte by Georges Seurat
Ein Sonntag Nachmittag auf der Insel La Grande Jatte by Georges Seurat; Source: Wikipedia


Und Gott sprach: Es werde eine Ausdehnung inmitten der Wasser, und sie scheide die Wasser von den Wassern! Und Gott machte die Ausdehnung und schied die Wasser, welche unterhalb der Ausdehnung, von den Wassern, die oberhalb der Ausdehnung sind. Und es ward also. Und Gott nannte die Ausdehnung Himmel. Und es ward Abend und es ward Morgen: zweiter Tag.

Pointillismus. Jeder der sich noch an den Kunstunterricht erinnern kann weiß, dass Künstler sich hier mit kleinen Farbpunkten zum Ausdruck bringen. Formen und Dinge werden nicht direkt auf die Leinwand gebracht, sondern ein Meer aus Punkten geschaffen, die ich der Betrachter erst zu einem Gemälde zusammenfassen muss.

Ein Beispiel ist die sommerliche Szene im Park am Anfang des Textes. Abertausende von Farbpunkten formen Menschen, Tieren und den Park an sich. Gehe ich näher heran verschwinden alle diese Formen und ich sehe nur eine Unzahl an Punkten.

Und so ist es auch mit meiner Wahrnehmung. Alles das, was ich sehe, höre, rieche, oder taste sind Abermillionen kleine Punkte die mir ein Signal von der Welt liefern. Sie sind das unbekannte Chaos, was bei zu naher Betrachtung nicht sehr viel Sinn ergibt. Also macht mein Geist einen Schritt zurück und fasst alles zu einfacheren, materiellen Formen zusammen.

Dabei stehen sie aber nicht für sich alleine. Gleichzeitig ist es auch kein undifferenziertes großes Ganzes. Meine Welt wandert eher zwischen den Zuständen hin und her. Ich sehe den gesamten Park, dann fokussiere ich mich auf die Frau rechts im Bild, mit ihrem Schirm, Hut und einem Affen an der Leine.

Worauf will ich hinaus? Wenn die Finsternis gelichtet wird und ich die ersten Erfahrungen eines unbekannten Teils der Welt mache, erkenne ich welche Dinge sich darin befinden. Ich hebe das Erkannte aus dem Chaos, verbinde die einzelnen Details und nehme die gesamte Szene wahr.

Dieses Netz ist es das einen Himmel aufspannt, indem sich meine Gedanken frei bewegen können. Somit habe ich jetzt auch wieder den Bogen zurück zur eigentlichen Geschichte geschlagen. Es sind meine Gedanken die wie Vögel über die erkannten Dinge fliegen und sie zu einem komplizierten Muster verbinden. Die Szene im Park erinnert mich zum Beispiel an Sommertage an der Hamburger Außenalster. In meinem Geist springt der Gedanken von einem zum anderen.

Jede neue Erkenntnis, jeder Sprung der Gedanken, schafft aber nicht nur Neues, sondern ändert auch das Wissen, das ich längst besitze. Meine Gedanken formulieren alte Wahrheiten kontinuierlich um, passen sie an und halten sie so am Leben. Und so entsteht ein sich ständig änderndes Netzwerk aus Ideen, Erinnerungen und Erkenntnissen das die Landkarte meines Ichs definiert.

Teil der Deckenmalerei der Sixtinischen Kapelle (Teilung von Wasser und Himmel) by Michelangelo
Teil der Deckenmalerei der Sixtinischen Kapelle (Teilung von Wasser und Himmel) by Michelangelo; Source: Wikipedia

Es schafft meine erlebte Welt und so lange es im Kontakt mit der Welt bleibt sind beide im Einklang. Aber was ist, wenn ich einen Höhenflug habe? Was passiert, wenn meine Gedanken zu frei sind? Ich verliere den Kontakt, bin nicht mehr bodenständig, und schaffe Scheinwelten die jede sinnhafte Wahrheit über den Haufen werfen.

Jeder kennt diesen Zustand. Als Kind wünsche ich mir etwas, ein Spielzeug oder einen Ausflug, und gehe fest davon es zu bekommen. Ich male mir aus wie es sein wird und was ich alles mache werde. Ich schaffe ganze Welten, nur um manchmal von der Realität enttäuscht zu werden. Schlimmer ist es, wenn diese Scheinwelt in unser aller Welt überschwappt. Im letzten Jahrhundert sind wir alle kollektiv in eine Wahnwelt, ungehindert von Realität und Wahrheit getreten und jeder hat dafür einen hohen Preis bezahlt.

Es sind aber auch diese Höhenflüge, durch die ich Neues wage, kreativ bin und in die Finsternis vorstoßen. Es ist das Versprechen nach etwas Besserem das mich verleitet an meine Grenzen zu gehen und vielleicht darüber hinaus. Das bedeutet, ohne sie erweitere ich nicht meinen Horizont, stagniere und sehe irgendwann die Welt an mir vorbeiziehen. Fliege ich hingegen zu hoch, lasse das Bekannte zurück und baue Luftschlösser, bricht diese Welt auf kurz oder lang über mir zusammen.

The Lament for Icarus by Herbert James Draper
The Lament for Icarus by Herbert James Draper; Source: Wikipedia

Somit finde ich eine Balance zwischen meinen progressiven und konservativen Kräften. Keine darf dominieren für das Wohl des Ganzen. Die eine entdeckt neues Wissen, während die andere es bewahrt.

Nachwort

Ich spreche hier schon von Wissen und wie es aus dem Unbekannten gehoben wird. Das greift den dritten Tag vorweg, war aber notwendig, um das Entstehen von Gedanken zu beschreiben. Ich denke, dass eine passiert eh zusammen mit dem anderen. Das Format einer linearen Geschichte erlaubt nur leider nicht Gleichzeitigkeit darzustellen. Es ist somit auch einer erster Beweis für die Verzahnung der Geschichten in der Bibel. Spätere Geschichten haben ein Echo in früheren und umgekehrt.

Referenzen